Montag, 9. Dezember 2013

Warum sind Sie kreativ?

Fragen von Marion Löhndorf (2013) an den britischen Designer, Paul Smith.

Warum sind sie kreativ?
Weil ich neugierig bin. Wenn man neugierig ist, stellt man Fragen. Und das kann bedeuten, dass man Fragen stellt, die noch nicht gestellt worden sind. Das nennt man dann Kreativität.

Kann man Kreativität üben?
Es ist schwierig, aber möglich. Man muss hinschauen und sehen. Viele Leute schauen nur hin, aber sie sehen nicht. Sie wissen nicht zu schätzen, was sie sich ansehen. (...)

Aus:
Löhndorf, M. (2013, 08.12.2013). Kreativität kann man üben. NZZ am Sonntag / Stil.

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Welt - ein unendliches Forschungsfeld (Schulz, 1980)


Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.
In diese Verlegenheit gerät sie ohne ihre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt immer höher, zu entferneteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäfte jederzeit unvollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genötigt, zu Grundsätzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnisse stehet. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche, aus welchen sie zwar abnehmen kann, dass irgendwo verborgene Irrtümer zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsätze, deren sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probierstein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten heisst nun Metaphysik. (Kant, 1974, S.11)

Kommentar:
Fragen bewegen das Rad der Pädagogik. Sie integrieren die Erfahrung als Probiersteine. Das sind auch die Komponenten des flexiblen Interviews, sprich der kritischen Methode.

Kant, I. (1974). Kritik der reinen Vernunft (Bd. 1). Frankfurt a.M.: suhrkamp taschenbuch wissenschaft.
Schulz, W. (1980). Philosophie in der veränderten Welt. Pfullingen: Verlag Günther Neske.
 
 


Mittwoch, 21. August 2013

Rousseau - Geometrie in der Art der Kinder lehren

Rousseau (1983):
Ich habe gesagt, daß die Geometrie die Fassungskraft der Kinder übersteigt. Aber das ist unsere Schuld. Wir bedenken nicht, daß ihre Methode nicht die unsre ist, und was für uns die Kunst des Denkens ist, für sie nur die Kunst des Sehens sein kann. Statt ihnen unsere Methode zu geben, täten wir besser, ihre anzunehmen. Denn unsere Art, Geometrie zu lehren, ist genauso eine Angelegenheit der Phantasie wie der Überlegung. Ist ein Satz gegeben, muß man den Beweis ersinnen, das heißt von welchen schon bewiesenen Sätzen dieser abhängt, und von allen Folgerungen, die man aus diesem Satz ableiten kann, die wählen, um die es sich handelt.
Bei dieser Art muß der schärfste Denker hinterherhinken, wenn ihm die Phantasie fehlt. Was folgt daraus? Statt uns die Beweise finden zu lassen, diktiert man sie uns. Statt uns logisch denken zu lehren, denkt der Lehrer für uns und übt nur unser Gedächtnis. (ebd., S. 134)
Kommentar:
Rousseaus Gedankengang umschreibt indirekt auch den Begriff der kritischen Methode. Er ist ein wesentliches Attribut des flexiblen Interviews, das selber eine permanente Methodenkritik darstellt.
Bei Rousseau betrifft es die Lehre, d.h. die kritische Auseinandersetzung mit den Zielen und mit den Lehrmethoden am Beispiel der Geometrie.
Bei Piaget betrifft es die Forschung, d.h. die kritische Auseinandersetzung mit den Fragestellungen, mit den Forschungsgegenständen und mit den Forschungsmethoden (Bringuier, 2004).
Beide streben andere Entwicklungen an. Das bedingt, dass man nicht nur auf die Forschungsgegenstände und die untersuchten Personen schaut, sondern gleichzeitig auf die Forschenden selber. Die Methode der Kinder kann erst angenommen werden, wenn man selber kreativere Fragen an die Lehre und die Forschung stellt.
Literatur:

Bringuier, J. C. (2004). Jean Piaget - Ein Selbstportrait in Gesprächen. Weinheim: Beltz.

Donnerstag, 25. April 2013

Rechenschwäche

Bei der Rechenschwäche nimmt man wahr, dass das Kind im Lehrprogramm untergeht. Systemisch betrachtet versinkt jedoch mit jedem Kind auch das fachdidaktisch-pädagogische Schiff. Das sieht man „einfach“ nicht so gut wie Lesefehler, zählendes Rechnen oder Probleme beim Sachrechnen.

Donnerstag, 15. November 2012

Gesprächstechnik und Dialog: eine Differenzierung

Donaldo Macedo (2010) macht auf der Grundlage der dialogischen Pädagogik von Paulo Freire eine bedeutsame Unterscheidung:
Das flexible und kritische Interview als Hilfsmittel der dialogischen Pädagogik... (Donaldo Macedo, 2010)

Samstag, 22. September 2012

Das flexible Interview macht den Beobachter, sein Gegenüber und die Sache sichtbar.

Michel Serres (1987) schreibt über die parasitäre Wissenschaft, dass sie sich unsichtbar macht, dass sie als Humanwissenschaft den Kontext ausschliesst und dass sie bloss nimmt und nicht gibt. Zitat:

"Der Beobachter ist das Nicht-Beobachtbare. Zumindest ist es nötig, dass er auf der Kette des Beobachtbaren der letzte sei. Wenn jemand an seine Stelle tritt, so wir er zum Beobachteten. Er ist also in der Position des Parasiten. Nicht allein, weil er die Beobachtung nimmt und nicht gibt, sondern auch, weil er die letzte Position in der Folge einnimmt. Im Spektrum des Sichtbaren, des Blickes und der Evidenz ist er entweder unsichtbar wie Gyges oder wie ein Subjekt unter lauter Objekten, oder er ist der am wenigsten Sichtbare von allen. Bleibe unbemerkt, und was das Geräuschspektrum angeht, halte dich unterm Wind" (ebd. S. 365).

Das flexible Interview beobachtet, befragt, experimentiert und testet den Beobachter, den Beobachteten und das, was sie tun. Die Rollen und die Handlungen bilden keine parasitäre Kette mehr, sondern sie treten im Verhältnis zur Aufgabe, nämlich etwas optimal zu bearbeiten, sowie erkenntlich und verständlich zu machen, in eine Art Symbiose über. Der Pädagoge oder die Pädagogin bzw. der Psychologe benutzen das flexible Interview nicht klinisch (parasitär), sondern sozial und kontextuell. Das ist m.E. die Herausforderung an die Pädagogik als Praxis und als Wissenschaft.


Ein hörenswerter Kurzvortrag:
Ein Denker im Dialog - Michel Serres (26 Min.)

Literatur
Serres, M. (1987). Der Parasit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Dienstag, 3. Juli 2012

Adorno: Denn Bildung ist eben das, ....


...wofür es keine richtigen Bräuche gibt; sie ist zu erwerben nur durch spontane Anstrengung und Interesse, nicht garantiert allein durch Kurse, und wären es auch solche vom Typus des Studium generale. Ja, in Wahrheit fällt sie nicht einmal Anstrengungen zu sondern der Aufgeschlossenheit, der Fähigkeit, überhaupt etwas Geistiges an sich herankommen zu lassen und es produktiv ins eigene Bewusstsein aufzunehmen, anstatt, wie ein unerträgliches Cliché lautet, damit, bloss lernend, sich auseinanderzusetzen. Fürchtete ich nicht das Missverständnis der Sentimentalität, so würde ich sagen, zur Bildung bedürfe es der Liebe; der Defekt ist wohl einer der Liebesfähigkeit. Anweisungen, wie das zu ändern sei, sind prekär; es wird darüber meist in einer frühen Phase der Kindheitsentwicklung entschieden. Aber wem es daran gebricht, der sollte kaum andere Menschen unterrichten. Er wird nicht nur jenes Leiden in der Schule perpetuieren, das die Dichter von sechzig Jahren anklagten, und das man wahrscheinlich zu Unrecht, für längst beseitigt hält, sondern der Defekt wird sich in den Schülern fortsetzen und ad infinitum jenen geistigen Zustand zeitigen, den ich nicht für unschuldige Naivetät halte, sondern der mitverantworltich war am Unheil des Nazionalsozialismus. (S. 485)

Aus:

Adorno, T. W. (2003). Philosophie und Lehrer. In T. W. Adorno (Hrsg.), Kulturkritik und Gesellschaft II (Bd. 10.2, S. 474-494). Frankfurt a.M.: suhrkamp taschenbuch.