Dienstag, 3. Juli 2012
Adorno: Denn Bildung ist eben das, ....
...wofür es keine richtigen Bräuche gibt; sie ist zu erwerben nur durch spontane Anstrengung und Interesse, nicht garantiert allein durch Kurse, und wären es auch solche vom Typus des Studium generale. Ja, in Wahrheit fällt sie nicht einmal Anstrengungen zu sondern der Aufgeschlossenheit, der Fähigkeit, überhaupt etwas Geistiges an sich herankommen zu lassen und es produktiv ins eigene Bewusstsein aufzunehmen, anstatt, wie ein unerträgliches Cliché lautet, damit, bloss lernend, sich auseinanderzusetzen. Fürchtete ich nicht das Missverständnis der Sentimentalität, so würde ich sagen, zur Bildung bedürfe es der Liebe; der Defekt ist wohl einer der Liebesfähigkeit. Anweisungen, wie das zu ändern sei, sind prekär; es wird darüber meist in einer frühen Phase der Kindheitsentwicklung entschieden. Aber wem es daran gebricht, der sollte kaum andere Menschen unterrichten. Er wird nicht nur jenes Leiden in der Schule perpetuieren, das die Dichter von sechzig Jahren anklagten, und das man wahrscheinlich zu Unrecht, für längst beseitigt hält, sondern der Defekt wird sich in den Schülern fortsetzen und ad infinitum jenen geistigen Zustand zeitigen, den ich nicht für unschuldige Naivetät halte, sondern der mitverantworltich war am Unheil des Nazionalsozialismus. (S. 485)
Aus:
Adorno, T. W. (2003). Philosophie und Lehrer. In T. W. Adorno (Hrsg.), Kulturkritik und Gesellschaft II (Bd. 10.2, S. 474-494). Frankfurt a.M.: suhrkamp taschenbuch.
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