Die Forderung ist eine klassische. Das Erreichen der Realitätsnähe hat jedoch einen Haken. Wenn Pädagoginnen und Pädagogen annehmen, dass man die Realitätsnähe über neue Aufgaben und Mathematik-Fibeln herstellen könne, dann bleiben sie in einem Zirkel gefangen, aus dem sie mit neuen Aufgaben immer wieder auszubrechen versuchen. In Anlehnung an Lenné (1969) unterliegt man (unbewusst) dem aufgabendidaktischen Kurzschluss.
Paulo Freire (1979) umschrieb diesen Zirkel mit der Metapher der Spendendidaktik und des
Bankierskonzeptes. Die Inhalte und die sie vermittelnden Aufgaben sind Spenden, welche die Lernenden im Gedächtnis ablegen wie Depots in einem Banksafe. Im Blum'schen Beispiel würde man nicht bloss den Pythagoras ablegen, sondern auch die Foto einer Leiter, welche an eine Mauer angelehnt ist.
Kann man dem Zirkel entrinnen? Kann Unterricht Lebenswelt wirklich mathematisieren? - Klar kann man das. Es bedingt jedoch, dass man die didaktische Analyse mit den Lernenden macht und nicht für sie (Klafki, 1996). Man verlässt den Zirkel mit Hilfe des Dialoges und der Kooperation schon in der Phase der Vorbereitung des Unterrichts.
Literatur
- Freire, P. (1979). Pädagogik der Unterdrückten. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.
- Lenné, H. (1969). Analyse der Mathematikdidaktik in Deutschland. Stuttgart: Ernst Klett Verlag.
- Klafki, W. (1996). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemässe Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik (5. Auflage). Basel: Beltz Verlag.