Mittwoch, 15. März 2017

Hausaufgaben auf dem Baum


Neulich erzählte mir eine Mutter, wie sie mit ihrer Tochter Mathematik-Hausaufgaben erledigt hatte. Ihre Erfahrungen entpuppten sich als Trouvaille, die nicht vergessen werden sollte.

Das Mädchen, nennen wir sie Anne-Lise, sollte mehrere Seiten Additionen und Subtraktionen im Hunderterraum lösen. Die Mutter sass mit ihr auf dem Balkon, spornte sie an und half ab und zu. Anne-Lises  Arbeitstempo verlangsamte sich. Die Zeitnot der Mutter stieg an, weil berufliche Verpflichtungen warteten.
Im Gesicht von Anne-Lise zeichnete sich ab, wie ein schulfreier Nachmittag verloren ging. Die Spiele mit den Freundinnen wurden unwahrscheinlicher, und das ersehnte Herumrennen im Garten erfuhr mit jedem Blick auf die Rechenbeigen eine widerwärtige Lähmung. 
Mitten in diesen Nöten folgte die Mutter einem Geistesblitz: «Anne-Lise, ich sehe, wie sich deine Augen im Baum verlieren, auf dem du so gern herumkletterst. Ich mache dir einen Vorschlag: begib dich auf den Baum. Ich lese die Rechenaufgaben, und du rufst das Resultat zurück, das ich mit feinen Bleistiftstrichen notieren werde. Danach überschreibst du die Sachen.»

Anne-Lise verschwand in ihrer geliebten Baumkrone, aus der in zügigem Tempo Zahlen erklangen.

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