JAN. Foto S.G. |
In der Fallbesprechung machte ich S.G. auf das flexible Interview aufmerksam und ermutigte zum Experimentieren mit dieser Methode. Mehr noch, wenn JAN derart verschlossen und ängstlich ist, müssten die Emotionen, das Denken und die mathematischen Kompetenzen durch ein Rollenspiel befreit werden (vgl. Bodrova & Leong, 2015; Zaslavsky, 1994). Das hohe Lerntempo und der Stoffdruck hatten das Mädchen aus dem Tritt gebracht. Das hat mit hoher Wahrscheinlichkeit gravierende Folgen (vgl. Cargnelutti, Tomasetto & Passolunghi, 2017).
Die Einführung zum Werk von Inhelder, Sinclair & Bovet (1974, S. 35) führte die Definition der klinischen Methode weiter: « La méthode clinique - plus significativement appelée (méthode d'exploration critique) - provoque dans les milieux des expérimentalistes stricts des réactions allant de l'étonnement amusé jusqu' au scepticisme le plus profond."
Die Transformation der Verhaltensweisen von JAN und S.G. wurde durch das Rollenspiel gefördert und durch die kritische Exploration differenziert. - Das Rollenspiel der Heilpädagogin wirkt wie ein Übergangsobjekt (vgl. Winnicott, 2002; Günter, 2003; Storch, 1996). Mit diesem entwicklungsfördernden Angebot kann JAN ihre Abhängigkeit und Hilflosigkeit überwinden, sie wird unabhängiger und kompetenter. Das gilt umgekehrt auch für die Methodenabhängigkeit der Heilpädagogin. Das Rollenspiel und die kritische Exploration provozieren auf positive Weise das "unaufhörlche Hin- und Her zwischen Theorie und Praxis", es "verhindert, dass man in Methoden verfällt, die letzten Endes jede Arbeit blockieren würden" (vgl. Mannoni, 1978, S. 99). Es ist auch ein Wechselspiel zwischen Spontaneität und Kreativität (vgl. Moreno, zit. nach Storch, 1996; Moreno, 2007a,b). In Anlehung an Morenos Begriff der "Kulturkonserven" ist kritisch zu prüfen, inwiefern Mathematik-Lektionen Arbeit blockierende Methoden sind (vgl. Moreno, zit. nach Storch, 1996; Moreno, 2007a,b).
Lässt sich schlussfolgern, dass die kritische Methode besser sei als Tests? Piaget vertrat eine offene Haltung: «Or, une méthode n'est pas bonne ou mauvaise en soi. Elle ne peut être jugée qu'en fonction des problèmes qu'elle est appelée à résoudre et qui, à leur tour, sont orientés par des perspectives épistémologiques plus ou moins explicites » (1974, S. 35; vgl. Duckworth, 2004. "Nun, per se betrachtet ist eine Methode nicht gut und nicht schlecht. Sie kann nur anhand der Probleme beurteilt werden, die sie lösen soll und die wiederum von mehr oder weniger expliziten erkenntnistheoretischen Perspektiven bestimmt werden. Übers. d.d. Verf.).
Vygotsky (2019, S. 88-89, Übers. d.d. Verfasser) präzisiert die Bedeutung von Test-Methodologien wie folgt: "Früher glaubte man, dass Tests das mentale Entwicklungsniveau bestimmen, von dem die Bildung ausgehen sollte und dessen Grenzen sie nicht überschreiten sollte. Diese Vorgehensweise beim Lernen orientiert sich an der gestrigen Entwicklung, an bereits abgeschlossenen Entwicklungsstufen. Der Fehler dieser Auffassung wurde in der Praxis früher entdeckt als in der Theorie. Am deutlichsten zeigt sich dies im Unterricht von geistig behinderten Kindern. Studien ergaben, dass geistig behinderte Kinder nicht sehr fähig sind, abstrakt zu denken. Daraus zog die Sonderpädagogik die scheinbar richtige Schlussfolgerung, dass der gesamte Unterricht solcher Kinder auf der Anwendung konkreter "Look-and-Do"-Methoden basieren sollte."
Aus der Meta-Analyse von Hodgen, Foster, Marks und Brown (2018) kann gefolgert werden, dass die Evidenz dieser Methode (IbdT) hoch ist, weil ein Ensemble sehr wirksamer pädagogischer Zugänge, Lernformen und Mittel zum Einsatz kommt. Die Phantasie der Zahlenkünstler (Arithmetiker) wird von der "Poesie der Möglichkeiten" getragen (vgl. Sutton-Smith, 1986).
Im Fall von JAN musste ein pädagogisches und ein erkenntnistheoretisches Problem gelöst werden: Was ist Erkennen in der mathematischen Bildung und wie kann es im Feld entwickelt werden? Flexible Interviews und Rollenspiele nach dem Motto: «Ich bin deine Rechenmaschine» sind reichhaltige systemische Werkzeuge. Die Triangulation von Methoden (Rollenspiel, denkendes Rechnen - rechnendes Denken (vgl. Arrigo, 2014 "calcolo ragionato"), halbschriftliches Rechnen, kritische Exploration, Zone der nächsten Entwicklung, vgl. auch Bodrova & Leong, 2015; Duckworth, 2004; Winnicott, 2002; Cuomo, 2007) dynamisiert die Pädagogik, die Forschung und die Lehre. Diese Fallanalyse beschreibt nicht nur Entwicklungen im Hier und Jetzt von JAN, sondern sie gibt Einsicht in Entwicklungen der Pädagogin (vgl. Ingenkamp & Lissmann, 2005).
In künftigen Fallstudien werden Erfahrungen und Entwicklungsarbeiten auf verschiedenen Ebenen untersucht. "Sharing the video" ist eine vielversprechende Methode, um die Bedeutungen der Erfahrungen mit dem "sprechenden und handelnden Taschenrechner" in einem "video-stimulated-dialogue" zu erforschen (vgl. (Morgan, 2007; Nind, Kilburn, Wiles, 2015; Werfeli & Meyer, 2019).
IbdT mit Gruppen (Oktober, 2021)
Rufen wir uns die grundlegenden Fragen beim IbdT nochmals in Erinnerung: Was ist das Kopfrechnen eigentlich? Was bedeutet «rechnen wie der Blitz»? Was ist der «calcolo ragionato”? Wie kommt es zum automatisierten Rechnen, wenn eine Person Rechenoperationen mit den Fingern löst? Wie kommt es zu Ahnungen, zum Verständnis und zu Kompetenzen bei den arithmetischen Operationen, wenn Lernende kaum oder noch keine Schemata dafür haben? Die Methode «Ich bin dein Taschenrechner» provoziert auf positive Weise Gedankenspiele, aus denen Antworten auf die gestellten Fragen generiert werden können. – Der Vorbehalt gegen die transmissionspädagogischen Methoden wird nicht weiter erörtert (vgl. Meyer, 2017). Doch es wird ein methodischer Hinweis vorgestellt, welcher die Bedeutung des IbdT differenziert. Die bisherigen Fallstudien und Ausführungen beschrieben die Arbeitsverhältnisse in Zweiersituationen oder in der Arbeit einer Lehrperson mit zwei Kindern. Dabei stellte sich bei aller methodischen Präzision heraus, dass es schwierig ist, das linear-chronologische Lehrverhalten zu erkennen und zu überwinden (vgl. Eggenberger, 2021). Und dies ist eine der Zielsetzungen der IbdT-Methode. Walter Omar Kohan (Rio de Janeiro) beleuchtete im Vortrag “Paulo Freire more than (n)ever?” (vgl. internationale Tagung 100 Jahre Paulo Freire vom 15.10.2021 in Salzburg; Kohan, 2018) den folgenden Aspekt. In der Regel arbeitet die Transmissionspädagogik mit dem messbaren Zeitbegriff des Chronos. Die befreiende Pädagogik besinnt sich auf einen anderen Zeitbegriff, welcher auf die Lebenszeit bzw. das individuelle Leben fokussiert (vgl. GEMOLL: das Aiòn, Äon: Lebenszeit, Leben, Generation, Zeit, Zeitdauer, Zeitraum. Lebenslos, lange, unbegrenzte Zeit und Ewigkeit). Die ganzheitliche Sicht auf das Leben findet sich schon bei Heraklit: „Aiòn (die Zeit) ist ein Kind, - ein Kind beim Brettspiel; ein Kind sitzt auf dem Throne» (B52, Heraklit, 2007). Wie kann sich eine Pädagogin oder ein Pädagoge aus den Diktaten des Chronos befreien? Wodurch lernt sie, mit dem befreienden Zeitbegriff zu denken, zu arbeiten und zu fühlen? Die Antwort liegt nicht in einer romantischen Verzückung, sondern in der Veränderung des Arbeitens und der Arbeitsverhältnisse. Die Spielpädagogik ist ein Schlüssel zur Veränderung des Arbeitens in der Pädagogik. Das soll in der folgenden Szene mit Blick auf Gruppen von Lernenden exemplifiziert werden.
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Diese Episode gibt Einblick in das «Ich bin dein Taschenrechner-Kopfrechenspiel». Spielideen, Rollen, Aufgaben, Spielzeit und Metakognition werden in freien Konversationen entwickelt, durchgeführt, besprochen, verändert und weitergeführt. Das IbdT und das Kopfrechenspiel wären Ausdrücke der reziproken Mäeutik und der freien, operativen Konversation (vgl. Dolci, 2011; Fasce & Vigilante, 2011; Piaget, Abstraction réfléchissante; Meyer, 2006).
In Anlehnung an Mahoney et al., (2020, p. 3) wird klar, dass das FI-B ein kulturelles Werkzeug ist. Es reiht sich ein in das systemische soziale und emotionale Lernen (SEL), welches "ein Ansatz zur Schaffung gerechter Lernbedingungen ist, der alle Schüler von der Vorschule bis zur 12. Klasse aktiv in das Erlernen und Einüben sozialer, emotionaler und akademischer Kompetenzen einbezieht."
Arrigo, G. (2014). Calcolo
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Bodrova, E. & Leong, D. J. (2015). Vygotskian and Post-Vygotskian
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