Dienstag, 26. Juni 2018

Fragen beim Wandern. Variationen zu Friedrich Nietzsche, Paulo Freire und Nicola Cuomo

Pfauenauge auf Skabiose über der Felswand des Creux du Van (Juli 2009)

Was bedeutet die Gewohnheit des Spendens bloss? Lernende "bekommen" fotokopierte oder digital aufbereitete Aufgaben.

Bedeuten diese Aufgaben wirklich das, was Menschen lernen könnten? Oder grenzen sie das Lernen auf ein Lernen-Sollen ein?

Sind kopierbare Aufgaben bloss fromme Projektionen der Aufgabenentwickler- und Spender?

Rauben gespendete und kopierbare Aufgaben nicht jene naive Energie, welche in den Erfahrungen ruht?

Suggerieren kopierbare Aufgaben nicht Sicherheit, dass das Rechte getan wird?

Das Rechte zu tun, erscheint wie eine pädagogische Idylle, herausgelöst aus den Lebenssituationen, befreit von der Komplexität und beweihräuchert mit didaktischen Prinzipien. - Erscheint das nicht leicht und machbar? Aber ist es das wirklich?

Kann es sein, dass uns die Beherrschung der Aufgabendidaktik und die Fähigkeit, Lernumgebungen zu organisieren, in gewissem Sinne pädagogisch einlullen?

Was bedeutet die plötzliche Energielosigkeit beim Spenden von Aufgaben?

Raubt das Kopieren paradoxerweise und letztendlich die Zeit für das Lernen?

Was geschieht mit uns, wenn wir vor der Wucht eines Naturphänomens wie dem Creux du Van oder vor der Wucht eines Kunstwerkes stehen?

Was wäre, wenn die Kunst des Lernens dem Flug des Pfauenauges gleichen würde? Die Balance in den Winden über dem Abgrund? Der Friede im Nektar der Skabiose?

Was wäre, wenn Sprache und Mathematik nicht bloss Arbeitsblätter, Dateiordner und verlinkte Aufträge wären, sondern wuchtige Phänomene, abgründige Fragen zur Physik, Zahlen und Operationen, die ins Staunen versetzen, berührendes Wissen um Geologie, Phantasieflüge mit dem Pfauenauge?

Dienstag, 24. Oktober 2017

Smart Brothers

Mit dem flexiblen Interview kann erforscht werden, wie sich Köpfe entleeren und wie sie sich hoffentlich auch bilden, d.h. aufklären und enkulturieren.

In der Ära der Tablets, d.h. der "smart brothers", könnte folgenden Fragen nachgegangen werden:
  • Was verstehen wir entwicklungspsychologisch unter digitaler Kompetenz?
  • Was verstehen wir entwicklungspädagogisch unter digitaler Kompetenz?
  • Was bedeutet digitale Kompetenz philosophisch?
  • Wird der Begriff der digitalen Kompetenz bloss funktional verwendet, d.h. im Sinne von "kaufen, besitzen und wissen, wie es geht?"
  • Wird der Begriff der digitalen Kompetenz bildungstheoretisch erörtert, sodass die Anteile der Enkulturation und Aufklärung (vgl. Liessmann, 2017) bewusst werden können?
Liessmann gab ein interessantes Interview zum Thema "Tablets für alle in der Schule" (vgl. Liessmann "Wir haben immer weniger im Kopf" ).
Konrad Paul Liessmann (Bild: PD)


Das Setting ist relativ einfach: geben Sie einer Person (angefangen von Kleinkindern) ein Gerät in die Hand und pflegen Sie gleichzeitig ein Sprachspiel (vgl. Wittgenstein, 1980, 2013). Dann wiederholen Sie dieses Vorgehen frei, bis Sie sich selber sowie die Person und bis die Person sich selber sowie das Gerät verstanden haben.

Literatur
Liessmann, K.P. (2017). Bildung als Provokation. Wien: Zsolnay.
Wittgenstein, L. (1980). Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914-1916, Philosophische Untersuchungen (4. Auflage). Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.
Wittgenstein, L. (2013). Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (9. Auflage). Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.

Mittwoch, 15. März 2017

Hausaufgaben auf dem Baum


Neulich erzählte mir eine Mutter, wie sie mit ihrer Tochter Mathematik-Hausaufgaben erledigt hatte. Ihre Erfahrungen entpuppten sich als Trouvaille, die nicht vergessen werden sollte.

Das Mädchen, nennen wir sie Anne-Lise, sollte mehrere Seiten Additionen und Subtraktionen im Hunderterraum lösen. Die Mutter sass mit ihr auf dem Balkon, spornte sie an und half ab und zu. Anne-Lises  Arbeitstempo verlangsamte sich. Die Zeitnot der Mutter stieg an, weil berufliche Verpflichtungen warteten.
Im Gesicht von Anne-Lise zeichnete sich ab, wie ein schulfreier Nachmittag verloren ging. Die Spiele mit den Freundinnen wurden unwahrscheinlicher, und das ersehnte Herumrennen im Garten erfuhr mit jedem Blick auf die Rechenbeigen eine widerwärtige Lähmung. 
Mitten in diesen Nöten folgte die Mutter einem Geistesblitz: «Anne-Lise, ich sehe, wie sich deine Augen im Baum verlieren, auf dem du so gern herumkletterst. Ich mache dir einen Vorschlag: begib dich auf den Baum. Ich lese die Rechenaufgaben, und du rufst das Resultat zurück, das ich mit feinen Bleistiftstrichen notieren werde. Danach überschreibst du die Sachen.»

Anne-Lise verschwand in ihrer geliebten Baumkrone, aus der in zügigem Tempo Zahlen erklangen.

Sonntag, 11. Dezember 2016

Die Kunst des Zuhörens

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to listen, to hear, ... 
Musik und Bildung
Dialogische Pädagogik und das flexible Interview als Einübung in die Kunst des Zuhörens:
hören, hinhören, zuhören, heraushören, hörig?! 
Sehenswert-hörenswert, dieses Gespräch zwischen Daniel Baremboim und Barbara Bleisch.




Samstag, 11. Juni 2016

Befehlssprache

www.google.com "Arbeitsblatt" Ausschnitt


Die Gabe von Aufgaben im Unterricht oder in Tests ähnelt augenscheinlich Befehlsausgaben bis in die modernsten Lehrformen und Testformen hinein (vgl. Deleuze & Guattari (2005). Insofern ist die Verwendung des flexiblen Interviews nicht automatisch eine soziale Errungenschaft.

Immerhin ermöglicht die Methode, dass der Übergang von Befehlssprachen zum Sprachspiel (vgl. Wittgenstein, 1980) erforscht, bewusst gemacht und entwickelt werden kann. Das Sprachspiel wird Experimentierraum für Empathie und Verstehen (vgl. Imola, 2010), oder anders gesagt, es wird Raum für die Menschlichkeit geschaffen, zu der wir nach Simone Weil (2011) absolut verpflichtet sind.


Literatur
Deleuze, G., Guattari, F. (2005). Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie (6. Aufl.). Berlin: Merve Verlag.

Imola, A. (2010). Empathie und verstehen. Die Methode von Nicola Cuomo. Verfügbar unter:  http://rivistaemozione.scedu.unibo.it [18.03.2012]

Weil, S. (2011). Die Verwurzelung: Vorspiel zu einer Erklärung der Pflichten dem Menschen gegenüber. Zürich: diaphanes.

Wittgenstein, L. (1980). Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914-1916, Philosophische Untersuchungen (4. Auflage). Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.

Mittwoch, 27. April 2016

Mathematik - Ein wuchernder, nomadisierender Jargon




Gilles Deleuze und Félix Guattari (vl., Bild aus Mark Dyal)

Schaut euch die Mathematik an, das ist keine Wissenschaft, sondern ein wuchernder, nomadisierender Jargon. Sogar und vor allem in der Theorie leistet ein prekäres pragmatisches Gedankengebäude mehr als der Abklatsch von Begriffen, die ihren Einschnitten und Weiterentwicklungen zum Trotz doch nichts ändern. (S. 38f.)

Literatur
Deleuze, G., Guattari, F. (1977). Rhizom. Berlin: Merve Verlag.