Mittwoch, 21. August 2013

Rousseau - Geometrie in der Art der Kinder lehren

Rousseau (1983):
Ich habe gesagt, daß die Geometrie die Fassungskraft der Kinder übersteigt. Aber das ist unsere Schuld. Wir bedenken nicht, daß ihre Methode nicht die unsre ist, und was für uns die Kunst des Denkens ist, für sie nur die Kunst des Sehens sein kann. Statt ihnen unsere Methode zu geben, täten wir besser, ihre anzunehmen. Denn unsere Art, Geometrie zu lehren, ist genauso eine Angelegenheit der Phantasie wie der Überlegung. Ist ein Satz gegeben, muß man den Beweis ersinnen, das heißt von welchen schon bewiesenen Sätzen dieser abhängt, und von allen Folgerungen, die man aus diesem Satz ableiten kann, die wählen, um die es sich handelt.
Bei dieser Art muß der schärfste Denker hinterherhinken, wenn ihm die Phantasie fehlt. Was folgt daraus? Statt uns die Beweise finden zu lassen, diktiert man sie uns. Statt uns logisch denken zu lehren, denkt der Lehrer für uns und übt nur unser Gedächtnis. (ebd., S. 134)
Kommentar:
Rousseaus Gedankengang umschreibt indirekt auch den Begriff der kritischen Methode. Er ist ein wesentliches Attribut des flexiblen Interviews, das selber eine permanente Methodenkritik darstellt.
Bei Rousseau betrifft es die Lehre, d.h. die kritische Auseinandersetzung mit den Zielen und mit den Lehrmethoden am Beispiel der Geometrie.
Bei Piaget betrifft es die Forschung, d.h. die kritische Auseinandersetzung mit den Fragestellungen, mit den Forschungsgegenständen und mit den Forschungsmethoden (Bringuier, 2004).
Beide streben andere Entwicklungen an. Das bedingt, dass man nicht nur auf die Forschungsgegenstände und die untersuchten Personen schaut, sondern gleichzeitig auf die Forschenden selber. Die Methode der Kinder kann erst angenommen werden, wenn man selber kreativere Fragen an die Lehre und die Forschung stellt.
Literatur:

Bringuier, J. C. (2004). Jean Piaget - Ein Selbstportrait in Gesprächen. Weinheim: Beltz.

Donnerstag, 25. April 2013

Rechenschwäche

Bei der Rechenschwäche nimmt man wahr, dass das Kind im Lehrprogramm untergeht. Systemisch betrachtet versinkt jedoch mit jedem Kind auch das fachdidaktisch-pädagogische Schiff. Das sieht man „einfach“ nicht so gut wie Lesefehler, zählendes Rechnen oder Probleme beim Sachrechnen.

Donnerstag, 15. November 2012

Gesprächstechnik und Dialog: eine Differenzierung

Donaldo Macedo (2010) macht auf der Grundlage der dialogischen Pädagogik von Paulo Freire eine bedeutsame Unterscheidung:
Das flexible und kritische Interview als Hilfsmittel der dialogischen Pädagogik... (Donaldo Macedo, 2010)

Samstag, 22. September 2012

Das flexible Interview macht den Beobachter, sein Gegenüber und die Sache sichtbar.

Michel Serres (1987) schreibt über die parasitäre Wissenschaft, dass sie sich unsichtbar macht, dass sie als Humanwissenschaft den Kontext ausschliesst und dass sie bloss nimmt und nicht gibt. Zitat:

"Der Beobachter ist das Nicht-Beobachtbare. Zumindest ist es nötig, dass er auf der Kette des Beobachtbaren der letzte sei. Wenn jemand an seine Stelle tritt, so wir er zum Beobachteten. Er ist also in der Position des Parasiten. Nicht allein, weil er die Beobachtung nimmt und nicht gibt, sondern auch, weil er die letzte Position in der Folge einnimmt. Im Spektrum des Sichtbaren, des Blickes und der Evidenz ist er entweder unsichtbar wie Gyges oder wie ein Subjekt unter lauter Objekten, oder er ist der am wenigsten Sichtbare von allen. Bleibe unbemerkt, und was das Geräuschspektrum angeht, halte dich unterm Wind" (ebd. S. 365).

Das flexible Interview beobachtet, befragt, experimentiert und testet den Beobachter, den Beobachteten und das, was sie tun. Die Rollen und die Handlungen bilden keine parasitäre Kette mehr, sondern sie treten im Verhältnis zur Aufgabe, nämlich etwas optimal zu bearbeiten, sowie erkenntlich und verständlich zu machen, in eine Art Symbiose über. Der Pädagoge oder die Pädagogin bzw. der Psychologe benutzen das flexible Interview nicht klinisch (parasitär), sondern sozial und kontextuell. Das ist m.E. die Herausforderung an die Pädagogik als Praxis und als Wissenschaft.


Ein hörenswerter Kurzvortrag:
Ein Denker im Dialog - Michel Serres (26 Min.)

Literatur
Serres, M. (1987). Der Parasit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Dienstag, 3. Juli 2012

Adorno: Denn Bildung ist eben das, ....


...wofür es keine richtigen Bräuche gibt; sie ist zu erwerben nur durch spontane Anstrengung und Interesse, nicht garantiert allein durch Kurse, und wären es auch solche vom Typus des Studium generale. Ja, in Wahrheit fällt sie nicht einmal Anstrengungen zu sondern der Aufgeschlossenheit, der Fähigkeit, überhaupt etwas Geistiges an sich herankommen zu lassen und es produktiv ins eigene Bewusstsein aufzunehmen, anstatt, wie ein unerträgliches Cliché lautet, damit, bloss lernend, sich auseinanderzusetzen. Fürchtete ich nicht das Missverständnis der Sentimentalität, so würde ich sagen, zur Bildung bedürfe es der Liebe; der Defekt ist wohl einer der Liebesfähigkeit. Anweisungen, wie das zu ändern sei, sind prekär; es wird darüber meist in einer frühen Phase der Kindheitsentwicklung entschieden. Aber wem es daran gebricht, der sollte kaum andere Menschen unterrichten. Er wird nicht nur jenes Leiden in der Schule perpetuieren, das die Dichter von sechzig Jahren anklagten, und das man wahrscheinlich zu Unrecht, für längst beseitigt hält, sondern der Defekt wird sich in den Schülern fortsetzen und ad infinitum jenen geistigen Zustand zeitigen, den ich nicht für unschuldige Naivetät halte, sondern der mitverantworltich war am Unheil des Nazionalsozialismus. (S. 485)

Aus:

Adorno, T. W. (2003). Philosophie und Lehrer. In T. W. Adorno (Hrsg.), Kulturkritik und Gesellschaft II (Bd. 10.2, S. 474-494). Frankfurt a.M.: suhrkamp taschenbuch.

Sonntag, 8. April 2012

Dialogisches Lernen: Lernen, wie es euch gefällt

Eine Lehrerin im Solothurnischen (Schweiz) erprobt mit Schulanfängern das «dialogische Lernen». Die Kinder bestimmen selbst, was sie lernen wollen. Ein Zukunftsmodell für die Volksschule?

Siehe 
http://www.beobachter.ch/arbeit-bildung/schule/artikel/dialogisches-lernen_lernen-wie-es-euch-gefaellt/

Hinweis (Stefan Meyer)
Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass das dialogische Lernen mit Hilfe des flexiblen Interviews dynamisiert und gesichert werden kann.

Wozu Geometrie-Unterricht?

Hans Freudenthal


(...) Will man die Geometrie als logisches System dem Schüler auferlegen, so kann man sie in der Tat lieber abschaffen. Es gibt schlüssigere Systeme als welches System der Geometrie auch, das man sich ausdenken könnte. Geometrie-Unterricht kann nur sinnvoll sein, wenn man die Beziehung der Geometrie zum erlebten Raum ausnutzt. Unterlässt der Erzieher das, so lässt er sich unersetzliche Gelegenheiten entgehen. Geometrie ist eine der grossen Gelegenheiten, die Wirklichkeit mathematisieren zu lernen. Es ist eine Gelegenheit, Entdeckungen zu machen – wir werden es an Beispielen sehen. Gewiss, man kann auch das Zahlenreich erforschen, man kann rechnend denken lernen, aber Entdeckungen, die man mit den Augen und Händen macht, sind überzeugender und überraschender. Die Figuren im Raum sind, bis man sie entbehren kann, ein unersetzliches Hilfsmittel, die Forschung und Erfindung zu leiten. (S. 380)


Freudenthal, H. (1977). Mathematik als pädagogische Aufgabe (2., durchgesehene Auflage  Bd. 1 und 2). Stuttgart: Ernst Klett Verlag.